[ KALEIDOSKOP DER SINNE ]

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Musiker:innen und Autor:innen trafen auf Werke der Bildenden Kunst - ohne sie vorher gesehen zu haben.
Spontan entwickelte sich eine Beziehung zum Werk - Synästhesie.


Raphael 1
Verrückt

VER-RÜCKT - eine faszinierende Geschichte von Dr. Günter Arnolds zu einem Werk, das er vorher nicht gesehen hatte und dessen Titel er nicht kannte: Erzengel Raphael! Das ist Intuition und Synchronizität.

„Guten Tag, Herr Doktor! Schön, dass Sie mich besuchen kommen!“
Frau van Campen sitzt von ihrer Tochter frisch frisiert im Bett, welches sie schon lange nicht mehr verlassen kann, gestützt von einigen Kissen in ihrem Rücken. Der Geruch neu aufgezogener Bettwäsche hat sich wohltuend über den Raum gelegt.
Einmal im Jahr mache ich einen solchen Hausbesuch bei Frau van Campen, obwohl sie keine eigenen Zähne mehr hat. Um die letzten haben sie und ich gemeinsam vor 20 Jahren gekämpft, bis es wirklich nicht mehr ging. Damals konnte sie noch im Rollstuhl zu mir in die Praxis kommen. Jetzt liegt sie schon seit Jahren im Bett und wird von ihrer Tochter gepflegt. Doch auf den jährlichen Untersuchungstermin will sie nicht verzichten – und ich ehrlich gesagt auch nicht! Frau van Campen ist trotz ihres Alters noch absolut klar im Kopf und immer für ein gutes Gespräch zu haben.
Wie üblich setze ich mich auf ihre Bettkante. Alles ist heute so wie immer bei meinem Hausbesuch. Alles? Nein, etwas ist anders. Ich habe das kleine Objekt vor der brennenden Kerze auf dem Nachttisch sofort beim Betreten des Zimmers bemerkt.
„Was haben Sie denn da?“, frage ich sie und weise auf die ungewöhnliche kleine Skulptur: Kaum zehn Zentimeter hoch, zwei in die Höhe gestreckte Hände aus flammend rotem Kristallglas. Die Handballen liegen aneinander und bilden mit den kreisförmig nach außen gestreckten Fingern eine Art Mulde. In dieser Mulde ruht ein kugelförmiger grün schimmernder Stein, der durch das flackernde Kerzenlicht funkelnd zum Leben erweckt wird.
„Wollen Sie das wirklich wissen?“, Frau van Campen schaut mich zweifelnd an.
„Natürlich. Das scheint ja etwas Besonderes zu sein!“
Ich nicke ihr aufmunternd zu.
„Aber Sie dürfen nicht mit mir schimpfen!“.
„Warum denn schimpfen“, antworte ich, „mache ich doch nie…“
„Nun ja“, die alte Dame beginnt zögernd, „ das hat nicht mit mir selbst zu tun. Das ist für meine Freundin“. Sie hält inne, bevor sie weiterspricht.
„Die ist nämlich auch 88 Jahre alt wie ich und liegt jetzt im Krankenhaus. Ziemlich schlimm muss es sein, und…“. Frau van Campen macht eine Pause, bevor sie fortfährt:
„Herr Doktor, glauben Sie an Engel?“ Eine solche Frage habe ich nicht erwartet. Zum Glück bemerkt sie meine Unsicherheit nicht und spricht weiter. Jetzt viel schneller und mit wachsender Überzeugung in ihrer Stimme.
„Wissen Sie. Ich bin da ganz sicher. Es gibt Engel, egal was Sie gleich vielleicht sagen werden. Ganz besonders die Erzengel. Und die haben alle einen eigenen Stein - daran erkennt man ihre Eigenschaften“. Sie unterbricht sich kurz und zeigt auf die Hände mit dem grünen Stein.
„Der Erzengel Raphael ist der Engel der Heilung. Sein Engelstein ist grün wie hier der Malachit. Oder auch der Smaragd. Grün ist die Farbe der Natur. Raphaels Engelstein ist also eine Quelle der Heilung und des Lebens … Das hilft meiner Freundin…“
Sie schaut mir fragend in die Augen:
„Und? Mal ehrlich<! Was denken Sie davon, Sie als Arzt? Halten Sie mich jetzt für verrückt?“
Ich kenne natürlich solche Engelkulte. Auch die Produkte, mit der persönlicher Glaube da oft vermarktet wird.
Aber Arzt hin und Arzt her! Was soll ich der alten Dame antworten, die - selbst ans Bett gefesselt – ihrer Freundin helfen will?
Ich muss mich entscheiden!
„Warum soll ich Sie denn für verrückt halten? Es gibt viele Ideen zwischen Himmel und Erde, die ich nicht erkennen kann. Dinge, die einfach VER-RÜCKT sind. Aber eben nur von dieser in eine andere Welt. Und Ihre Überzeugung, mit diesem Engelstein etwas für Ihre Freundin tun zu können – die ist doch wunderbar!“
Ihre Augen strahlen, als sie ganz fest meine Hand drückt:
„Ich wusste, dass Sie mich verstehen. Aber jetzt schauen Sie doch mal, ob in meinem Mund noch alles in Ordnung ist…“


Raphael 2

Das Lied zum Objekt des Duo EigenArts

„Tabatei“
https://www.youtube.com/watch?v=TUdEhFHlVvk

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